Häusliche Gefühle angesichts einer optischen Falle

Wer sich in das Universum von Robert F. Hammerstiels Fotografien begibt, den verblüfft, welch grosse Rolle hier das Ausgesparte, Weggelassene spielt, das Verfälschte, das Imitat. Die Verwüstung der Welt betrifft zunachst die Objekte. An ihre Stelle tritt eine Welt der Surrogate und Fetische, die am Ende das Leben selbst ersetzen. Die Realitat verschwindet in einer Weise, die ohne Vorbild ist. In dieser Spiegelwelt erprobt jeder den Verlust im Rahmen seiner persönlichen Situation. Die Tankstellen bleiben geschlossen ("Stand-Orte", 1985-1988), nur noch Objekte aus Pressplastik tragen die Spuren der Spielzeuge ("Out of the blue",1996); Blumen sind nur noch als Darstellung auf Geschenkpapier vorhanden ("Salzburger Blatter", 1990-1992). Auf dieser Stufe der täglichen Verwicklung scheint die Verschwörung ebenso ökonomisch wie kulturell, insbesondere seit die Surrogate auf nationaler wie internationaler Ebene industriell gefertigt werden. Hammerstiel findet sein Material meist in Österreich bzw. in vergleichbaren Situationen anderswo in Europa. Schon in seinern zweiten Buch, "Der Stand der Dinge", führte er amüsiert die Liebe seiner Landsleute zum Gummibaum vor, der, echt oder unecht, im Katalog der "Grünen Heimat" gezeigt wurde. Seine "Mittagsportraits" schildern die Österreicher gernäss dem Sprichwort "Man ist, was man isst". Seine Arbeitshypothesen gewinnt er mit Hilfe einer Soziologie des Geschmacks: "Sage mir, mit welchem Tier du dich in deine Wohnung einigelst, und man erkennt, welchen Fetischismus du züchtest." Ganz offensichtlich führt der Wunsch, Herr des Tiersklaven zu sein, zu einer oralen Fixierung. Der Titel der Ausstellung, "Glücksfutter", verspricht Beglückung zum Beispiel durch ein essbares Hundespielzeug, den Kauschuh, mit untergründigen Anspielungen auf Fussfetischismus. Dann aber kehrt sich die Dialektik der Unterordnung gegen den Menschen: Die abgenutzte lange Leine des gebieterischen "Rex" überragt das kleinformatige Portrat seines Herrchens, das vorn Bild sozusagen wie an ein Halsband gelegt wird. Die Elektronik suggeriert dern Betrachter beruhigend die klangliche Unterwerfung des Tieres, indem ein diskretes Hecheln ihn auf seiner Wanderung durch die biogeometrisch geklonten Yuccawälder begleitet. Es verfolgt ihn auf dem künstlich blauen Seychellenstrand, einem Passepartout, angesichts dessen er von nichts mehr als den amtlich genehmigten Abzügen der regulierten Natur traumen kann. Spätestens aber, wenn der Betrachter glücklich die Knöpfe des Jumboautomaten bedient, der ihm dann aber das stachelige Bällchen für den Wauwau hinwirft, bemerkt er, dass er es hier mit einem ausgeklügelten Alptraum zu tun hat. Dank des Humors des Künstlers wird ihm klar, dass seine Sehnsucht nach Berührung von dem spiegelnden Cibachrome abprallt und ungestillt bleibt. Wenn er das weiche, hinter einer Glasscheibe zusammengepresste Kissen sieht, fragt sich der Ausstellungsbesucher, ob der Künstler hier womoglich eine Art Menschenopfer verübt hat. Von den samtigen kleinen Kissen hebt sich das Portrat einer Modellfamilie mit ihrem vierbeinigen Gefährten ab, aber das Bild ist zerknittert und wie von einer bilderfeindlichen Attacke deformiert. Es gibt kein Entkommen, es sei denn durch die industriell produzierte Vervielfältigung. Dieses aufgebaute Glückscasting erschreckt den Betrachter, schnell geht er weiter und begegnet dem nächsten Alptraum, diesmal einem Baum in Form eines "Pussicat Tree" für Krallenspiele und Kletterfreuden. Dieser Gegenstand wird zum libidinösen Objekt einer häuslichen Unterwerfung, wenn nicht schon durch sein Format, so spätestens durch die geflochtenen Stricke und das Synthetikfell. Der Betrachter fühlt sich als Bote im Sinne von Joseph Losey, es heisst für ihn "go between", er wird in dieses Spiel zwischen dem manipulierenden Künstler und seiner eigenen passiven Rolle unweigerlich hineingezogen; er flieht und findet eine Atempause vor klassizistischen Saulen und in der Mannigfaltigkeit der Architekturen. Gerade Zeit genug, um zu erkennen, dass der erhabene Baum, der vor ihm steht, nichts ist als eine Aquariumpflanze und dass er wieder in die Falle gegangen ist. Die "Blaue Lagune", in der er sich spiegelt, tragt die laufende Nummer 2: Es gibt kein Original mehr in diesem Universum. Die Welt reduziert sich auf das langsame Abschreiten des Wassergefängnisses, auf einen langen Readymadekorridor, eine computerblaue, klaustrophobische Erinnerung an das Echte, das es einst gab. Sogar der Betrachter selbst ist jetzt ein Bild geworden durch den Einfluss der verschiedenen Erfahrungssurrogate und die Mannigfaltigkeit seiner eigenen optischen Gefühle.

Christian Gattinoni, Paris 1998