Bilder zweiter Ordnung. Fotografie und Immundesign

Robert F. Hammerstiel ist ein ungewöhnlicher Fotograf. Seine Bilder wirken nüchtern trotz ihrer Farbigkeit, klar trotz ihrer Täuschungen, kristallin trotz ihrer lebendigen Sujets. Hammerstiel bildet nicht nur ab und hegt dabei eine bestimmte gestalterische Absicht. Er ist jemand, der zeitdiagnostisch vorgeht. Sein Thema sind die ästhetischen Dimensionen des Immundesigns. Mit Immundesign ist das gegenwärtige Bedürfnis der Menschen angesprochen, ihre Umwelt nach Reinlichkeitssphären zu organisieren. Um diese Entwicklung zu verzeichnen, bringt Hammerstiel die konträren Prinzipien von Moderne und Medizin in eine nahe Beziehung. In seinen Bildern vereinigt er lang gehegte, konträre Absichten. Was ist damit gemeint? Während die Moderne die Sichtbarkeit unterbinden wollte, um sich selbst zu reinigen, so strebte die Medizin danach, auf die Unsichtbarkeiten hinzuweisen, um Menschen weniger anfällig für Ansteckungen zu machen. Beide Varianten sind Spielarten gegenwärtigen Umweltdesigns, beide sind für Hammerstiels Gegenwartsanalyse entscheidend. Die Technologie und Methode der Fotografie helfen ihm dabei. Die Fotografie erweist sich als das geeignetste Medium, um die Fragen der Sichtbarkeitsimmunologie in eine ebenso kritische wie anschauliche Verfassung zu bringen.

Hygiene
Von vielen Biologen wird das somatische Selbst wie ein belagertes Terrain beschrieben, das von körpereigenen Grenztruppen mit wechselndem Erfolg verteidigt wird. Das, was wir Hygiene nennen, ist eine Vorsichtsmaßnahme, ein Präventivkrieg gegen Eindringlinge, die die körperliche Substanz schwächen könnten. Je mehr wir über uns wissen, desto mehr empfindet sich das organische Selbst als gefährdet. Dazu kommen die Umweltbedingungen. Spätestens seit den Erkenntnissen über die Verunreinigung von Luft, Wasser und Nahrungsmitteln wissen wir, dass der Organismus nicht nur an seiner Oberfläche verwundbar ist. Biologische, psychologische, kulturelle und andere Prozesse können ebenfalls schwächen. Wie sich davor schützen? Welche ökologischen Vorsichtsmaßnahmen sind zu treffen? Zu den bekannten Fragen kommen noch andere. Zum Beispiel betreffen sie die Ästhetik der Hygiene. Diese ist kaum thematisiert, obwohl klar ist, dass ökologisches Bewusstsein und wachsende Immunbetriebssysteme auch ästhetische Konsequenzen zeitigen. Wie stellt sich eine hygienische Welt dar? Ist sie natürlich, ist sie künstlich? Ist sie Urzustand oder Endziel? Wie vermag sich Reinheit in zivilisatorischen Sphären vermitteln? Rasch zeigt sich hier ein Paradox. Es betrifft die Sauberkeit. Sauberkeit ist Absenz, sie ist Nicht-Anwesenheit von Verunreinigung. Darstellbar ist sie nicht als Fülle oder Gegebenheit, sondern nur als Entzug.

Sauberkeit
Ergo ist Sauberkeit eine Erscheinung, die sich nicht zeigt. Eigentlich ist sie nur rückwirkend zu erschließen. Sauberkeit ist ein Zustand vor oder nach der Verunreinigung. Sie ist prä- oder postphänomenal. Und trotzdem wird ihre Gegenwart stets von Neuem eingefordert. Wer sich umsieht, besonders im Privaten, wird sie kaum übersehen. Das Bedürfnis der Menschen ist groß, ihre Umwelt als saubere und lebenswerte darzustellen. Darum sind Menschen heute zum Großteil Vertreter des Immundesigns geworden. Vor allem schaffen sie sich Zonen, in denen die Unsichtbarkeit bemerkbar wird. Es geht um entkontaminierte Sonderterrains. Diese sind nicht als romantische Refugien misszuverstehen, als pittoreske Stimmungen oder exotische Gefilde, wie dies früher üblich war. Nein, sauber sein heißt, geschlossene Atmosphären zu kreieren: Luftkurorte, Wellnesstempel, biedere Urlaubsdestinationen, All-inklusive-Hotels, Wintergärten und Sommerpools. Dies sind die Enklaven der Sauberkeit, die Immunzentren der Gegenwart.

Schadlosigkeit
Zweifellos sind Fragen der Immunität mittlerweile auch zum Kriterium des privaten Wohndesigns geworden, wobei der Trend zur Abschottung anhält. Die Definition von abgeschlossenen Räumen ist das manifeste Zeichen dafür, dass Inseln nötig sind, um das Hygieneverständnis aufrechtzuerhalten. Nicht alle Räume müssen allerdings dem Reinheitsgebot entsprechen. Wie die Existenz, so hat auch der private Wohnraum Hinterzimmer und Kellergeschosse. Es ist vor allem jener Teil des Privaten, der zugänglich ist, der den besonderen Sichtbarkeitsauflagen entspricht. Dazu gehören Bade- und Vorzimmer, Häuserfassaden, Essräume und besonders: Gärten. Sie werden proper gehalten. Sie werden gestaltet. An ihnen wird gefeilt, sie werden geehrt, geschnitten, rausgeputzt. Und dies teilweise gegen bessere Einsicht. Denn längst wissen die Betroffenen, dass zu viel an Hygiene schädlich sein kann. Das angestrebte Ideal ungefährdeter Gesundheit wird keineswegs erreicht, wenn alles Fremde und Unliebsame getilgt ist. Es gehört zu den Kompliziertheiten des körpereigenen Immunsystems, dass es zu Missverständnissen neigt und sogar in der Lage ist, sich selbst zu attackieren. Die gefährlichsten Krankheiten sind bekanntlich jene, bei denen sich der Körper aus unerklärlichen Gründen selbst für den Gegner hält.

Fotografie
Es ist Hammerstiels Verdienst, einen Blick auf diese Bewegungen und ihre kontrafaktischen Konsequenzen zu werfen. Hammerstiel beobachtet mit dem Blick des geübten Fotografen und trifft auf wunde Punkte. In der Kunst ist die Abwanderung des Kalküls der Körperhygiene in die Wohnsphäre bisher kaum thematisiert. Erschwerend ist das Paradox. Wie zeigt sich das Saubere? Wie stellt sich etwas dar, das sich entzieht? Vor allem, wie zeigt es sich in einem Bild? Naiv betrachtet ist schnell eine Antwort parat. Das Saubere wird am ehesten an Oberflächen manifest. Blank, poliert und spiegelnd, das sind die Kriterien des Reinen. Der Schmutz, sein Gegenteil, ist quasi eine maligne Auflage, ein unerwünschter Film über der Außenhaut aller Gegenstände. Die Reinigungsinitiative macht ihn weg. Daher antwortet das hygienische Design mit der Freilegung und Zurechtmachung von Oberflächen. Was dabei kaum gesehen wird: Es legt allen Besitztümern – auch dem eigenen Körper – einen Gestaltungsaspekt auf. Sauberkeit ist ein ästhetisches Konzept. Es ist ein ästhetisches Verlangen. Und an diesem Punkt hakt der Fotograf Hammerstiel ein. Denn die Fotografie besitzt einen Bezug zur Reinheitsidee. Die Fotografie ist gewissermaßen das methodische Äquivalent des Sauberen. Sie besitzt eine blanke, glänzende Oberfläche. Sie ist poliert. Sie ist sauber, an der Oberfläche nahezu transluzent. Anders als die Malerei ist sie nahezu geruchsfrei, anders als die Skulptur weder schlammig tönern noch aus problematischen Kunststoff oder schwerem Metall. Fotografie ist tadellos, noch dazu von industrieller, mechanistischer Herkunft. Wer will, darf sich daran erinnern, dass sie – zumindest vor der digitalen Reproduktion – durch den Prozess eines mehrfachen Bades ans Licht tritt. Hammerstiel betont die Reinlichkeit des fotografischen Bildes übrigens noch durch schmale, makellos weiße Ränder, um seine Fotos steriler, neutraler wirken zu lassen. Auch motivisch setzt er zusätzliche Akzente in diese Richtung, in dem viele seiner Aufnahmen in einem besonders präparierten Atelier entstehen. Seine Sujets werden dort vor weißen Hintergründen fotografiert. Es entstehen Innenräume, die nicht definiert sind, wie der berühmte White Cube. Sie sind fleckenrein und zahnweiß. Der White Cube ist übrigens der Inbegriff der Reinheitsfantasie. Während der Moderne trafen sich ästhetische Vorlieben mit jenen der Hygiene. Dazu kommt die Exklusivität. Im vollkommen weiß getünchten Raum lässt sich verwirklichen, was in normalen, lebensnahen Umständen ausweglos wäre: die Einzigartigkeit der Kunst, ihre pure Gegenwart bei gleichzeitiger Negation des verunreinigten Sichtbaren.

Garten
War die Kunst der Moderne in großen Zügen ikonoklastisch, so ist der Bezug der Menschen zur Natur heute physioklastisch, von einem Misstrauen gegenüber dem Natürlichen gekennzeichnet, bei gleichzeitiger Überschätzung seiner Bedeutung. Am deutlichsten wird das Bedürfnis nach privaten Immunzonen an der Schnittstelle zum Außen, an der Berührung mit dem alten Gegenspieler alles Künstlichen, der Natur. Dabei lernten Menschen nicht nur von der Moderne, sondern auch von der Medizin. Es scheint, als hätten sie deren Faszination für die Ablehnung des Verunreinigten in die eigenen Räume übersetzt. Was exklusiv war, ist heute common sense. Zum Schlüssel wird der Garten. Gärten sind sozusagen das Vorfeld, Schutz- und Pufferzonen gegen Eindringlinge und ungebetene Gäste. Zugleich sind Gärten Wohnraumerweiterungen. Früher oft als Träger von Empfindungen von Menschen geschätzt, als Labsal und Erholungsort, heute – durch die Schulung seitens der Hygienefanatiker – ein potentieller Fremdkörper und Gefährdungsträger. Gärten gehören dazu, solange sie wild und ungehorsam sind. Wer sie aber zurechtstutzt und gemäß der modernen Hygienebestimmungen ausreichend pflegt, der wird sie als besonders attraktive Ruheorte zu schätzen wissen. So die Vorstellung. Hammerstiel fotografiert eine Familie an einem Sonntagnachmittag rund um ihren Swimmingpool. Das Wasser ist klar, doch wie unter Spülmitteleinfluss himmelblau gefärbt. Das rechteckige Becken ist geometrisch. Dazu kommen spielende Kinder, die den künstlichen Teich mit bunten Kunststoffgeräten bevölkern. Längst wird diese vorgebliche Natur den Designvorstellungen der Hygiene gerecht. Sie ist Nachahmung. Als erste Prinzipien für die hygienisch verfahrende Mimesis gelten Klarheit, Oberflächenreinheit und Überschaubarkeit. Dazu kommen Wellness-Eigenschaften, die den privaten Außenraum zu einer Fortsetzung des Inneren machen. Rasenflächen müssen sich wie gepflegte Böden anfühlen, Beete wie frische Schlafkojen, Fruchtbäume wie saubere Selbstbedienungsläden. Die »Wohnlandschaft«, eine Marketingerfindung der 1970er-Jahre, wird gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt. Nicht ein Sofaensemble, das sich zur Landschaft dehnt, sondern eine Landschaft, die zum Wohnort wird, das ist die Lebensraummaxime von heute.

Moderne
Ursprünglich waren Menschen mit gediegener Hauspflege die Adressaten provokativer Kunstäußerungen. Es zählt zu den wenig bekannten Pikanterien der Kunstgeschichte, dass die Vertreter der biederen Häuslichkeit, die Hammerstiel kühl verzeichnet, zeitversetzt die Ideale der radikalen Avantgarde realisieren. Jene, die ihre Rasen fein säuberlich mähen, Hecken zurechtstutzen und nicht müde werden, Unkraut zu jäten, folgen letztlich avantgardistischen Maximen. Die Reinlichkeit ist tatsächlich eine der maßgeblichen Forderungen der Moderne. So meinte etwa Clement Greenberg, die Bilder sollten nicht mehr das Sichtbare nachahmen, sondern die Nachahmung selbst nachahmen. Das Reinheitsgebot der Moderne war demnach eine Form der gesäuberten Selbstspiegelung. Damit kam die Avantgarde den Hygienevorschriften der Medizin sehr nahe. Und obwohl beide, Medizin und Moderne, das Ziel einer radikalen Reinigung verfolgten, so beschritten sie dennoch gegensätzliche Wege. Diese betrafen natürlich die Art und Weise der jeweiligen Schädlingsbekämpfung. Die Medizin wollte auf die Unsichtbarkeit hinweisen, die durch Gefahren entstehen, die Menschen mit den Sinnen nicht wahrnehmen können, wie Viren, Bakterien und radioaktive Strahlen. Die moderne Kunst wollte im Gegensatz dazu auf die Sichtbarkeit hinweisen, auf die Gefahr der Verführungen der Bilder durch Politik, Tradition und Ideologien. Die Avantgarde entschloss sich zu einer Kunst als radikale Inhaltsvertilgung und somit zu einem vehementen Entzug. Überspitzt könnte man sagen: Malerei war in manchen Perioden des vergangenen Jahrhunderts eine Kunst der Kammerjägerei, Ateliers waren Entseuchungsanstalten, Architekturbüros Ausbildungszentren für Reinzeichner.

Bilder zweiter Ordnung
Hammerstiels Kunst besteht nun darin, einen Nenner von Medizin und Moderne, von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Präsenz und Entzug anzubieten. Und dieser Nenner ist die Fotografie, um genau zu sein, eine fotografische Ästhetik des Bildermachens in zweiter Ordnung. Was ist damit gemeint? In der fotografischen Serie Trust Me zeigt Hammerstiel Zimmer- und Zierpflanzen. Nun handelt es sich auf den ersten Blick um Bilder, die eine Wirklichkeit zeigen. Doch dies ist nicht korrekt. Tatsächlich sind die Topfpflanzen aus künstlichen Materialien gebaut. Es sind artifizielle Nachbildungen, die fotografiert werden. Obwohl Clement Greenberg der Fotografie kritisch gegenüberstand, entsprechen Hammerstiels Bilder sicherlich seinen Forderungen nach Selbstbezüglichkeit. Diese zeigt sich unter anderem darin, dass sich das Medium selbst tarnt. Die Fotografie stellt sich dar als Mittel, als doppelter Modus des Entzugs.

Täuschung
In einer Bildnerei zweiter Ordnung sind die Motive, die diese Fotos angeben, nichts anderes als künstliche Ersatzteile. Es sind Substitute der Natur. Sie ersetzen Wirklichkeit wie der Pool den Teich, der Wintergarten den Dschungel, die Badeente lebendiges Geflügel. Hammerstiels Motivrepertoire liest sich wie eine Aufzählung von billigen Simulakren. Wir alle kennen ähnliche Pflanzen aus Hotellobbys, Chinarestaurants, Bankfilialen oder Shopping Malls. Überall dort, wo eigentlich kein Leben möglich ist, – z. B. mangels natürlichem Licht – werden diese Bio-Avatare aufgestellt. Doch es geht nicht nur um Umweltbedingungen, es geht auch um die Illusion einer Natur, die rein zu sein hat. Deshalb ist es auch kaum erstaunlich, dass diese artifiziellen Pflanzen ihre Wirkung nicht verfehlen. Hammerstiel spricht von einem „Begehren“, das die Sujets provozieren. Das Begehren besteht in der Künstlichkeitsfantasie, die ebenso befriedigt wird wie die Vorstellung, man wäre wirklich von Flora umgeben. An der Kopie schätzen wir die Befähigung zur Nachahmung und die Potenz des Menschen, eigene Wirklichkeiten herzustellen. Am Surrogat lieben wir die Stellvertreterwirkung. Dort wo Pflanzen sind, fühlen sich Menschen im Allgemeinen wohl. Vorausgesetzt die Pflanzen sind nicht bedrohlich. Doch das ist nicht der Fall. Durch die Vereinzelung, den Zuschnitt und ihre Isolation in den Töpfen sind diese Konsumprodukte gezähmt. So finden sich Pflanzenkopien, die orientalisch sind oder mediterran, also aus Klimazonen kommen, die wir wegen ihrer angenehmen Temperaturen schätzen oder aus Regionen, die exotisch sind. Wir sehen zum Beispiel Orangenbäume oder künstliche Oliven. Daneben sind Pflanzen beliebt, die sich gut unter Zimmerbedingungen entfalten. Einige, wie der Ficus Benjamin, gehören zum typischen Inventar heutiger Häuslichkeit. Hammerstiel legt Wert darauf, dass sie aus ihren Kontexten entnommen werden und eine Entfremdung anzeigen. Denn alle Pflanzen sind fremdartig, jedoch weisen sie einen Grad an Fremdheit auf, der erträglich und damit attraktiv erscheint.

Grenzen
Ein dritter Pflanzentyp taucht in Hammerstiels Œuvre mehrfach auf. Dies ist keine fremde Pflanze, sondern eine heimische, die einer fremden ähnlich sieht. Eigentlich handelt es sich um die typische Gartenstaude: die Thuje. Thujen haben den Vorteil, dass sie rasch wachsen und eine hohe Blickdichte erlauben. Die einzelne Thuje hat durch ihre Form eines spitz zulaufenden Kegels Ähnlichkeiten mit der mediterranen Zypresse. Im Kontrast zu dieser ist sie kräftiger grün, niedriger und in alpinen Regionen winterfest. Thujen werden wegen ihrer guten Schnittverträglichkeit geschätzt, obwohl ihr Name eigentlich „Lebensbaum“ bedeutet , also eine Pflanze, die nicht zugerichtet werden sollte. Hammerstiel fotografiert Thujen, weil sie nicht selten von ihren Besitzern mit einer künstlichen Form versehen werden. Es sind Pflanzen, die wie Skulpturen behandelt werden, wie reproduktionsfähige Einheiten oder billige Waren. In den heimischen Gärten sind sie Immunwächter, natürliche Zinnen, klare Grenzposten. Als besonders eindrucksvolles Beispiel fotografiert Hammerstiel einen Garten, der mit einer Mauer aus Thujen begrenzt ist. Die übermannshohe Wand wirkt in ihrem saftigen Grün wie ein surreales Bild von Einzäunung und Abschreckung. Diesmal misstraut man der Echtheit und hält die Komposition für eine Täuschung.

Trompe l’œil
Für Hammerstiel ist bedeutsam, dass hier zwei Realitäten aufeinander treffen, eine tatsächliche und eine zitierte. Er erzählt, dass sich viele Betrachter/innen von der angeblichen Echtheit der Pflanzen täuschen lassen. Sie glauben dem dokumentarischen Charakter der Bilder. Tatsächlich stehen diese Bilder nicht nur in der Tradition, die maßgebliche Forderungen der Moderne verarbeitet, sondern die mit einer noch älteren Bildtechnik vertraut macht, die das Bildermachen an sich thematisiert: das Trompe l’œil. Trompe l’œil-Bilder sind solche, deren Sujet so täuschend echt erscheint, dass man meint, die dargestellten Motive greifen zu können. Die Unentscheidbarkeit zwischen Echtheit und Illusion ist jedoch in den Fotografien nicht durch das Bild provoziert, sondern durch die Gegenstände selbst. Die künstlichen Pflanzen sind eine Täuschung der ersten Ordnung. Die Fotos sind Täuschung einer zweiten.

Begehren
Andere Fotografien aus den Fotoserien Hammerstiels, die zum Teil in aufwändige Installationen integriert werden, zeigen penibel rasierte Grasteppiche, Swimmingpools aus der Vogelschau und vereinsamte Plastikspielplätze für Kleinkinder. Vorgestellt wird eine Wirklichkeit, die so sehr auf Heimeligkeit baut, dass sie unheimlich wird. Fremdenfeindlichkeit, der klare Subtext dieser Arbeiten über undurchdringliche Hecken und abgeschottete Gartenanlagen, ist eine bekannte Form des Selbstschutzes. Es ist der Versuch, eine private Umwelt als splendid isolation einzurichten, in der Menschen nicht von äußerlichen Gefährdungen behelligt werden, seien sie nachbarschaftlich, gesellschaftlich oder politisch. Dabei versuchen sie, sich dem Entzug zu entziehen. Dies wird allenthalben in den geglätteten Rasenstücken, den sterilen Stimmungen und durchgestalteten Räumen sichtbar. Die größte Angst aber, die sich durch Einzäunung und Isolation zeigt, ist die Angst vor der eigenen Begierde nach dem Anderen, Schmutzigen, Wilden und letztlich Fremden. Es sind die unterdrückten Begierden, die durch die Ernüchterung des Umraums ausgetrieben werden sollen. Und es ist die Hygiene, die wir zum Schutz gegen das eigene Begehren wie eine Mauer vor uns aufbauen.

Thomas D. Trummer