Zu Robert F. Hammerstiels etwas unheimlichen Spielzimmern. Oder über die Zitatkunst

Robert F. Hammerstiel braucht nur Weniges von dem Vielen, was er gemacht hat, auszustellen, man fühlt sich sogleich unter hundertfach Vertrautem und stellt fest, man stehe mitten im Zitat. So einfach und glatt sieht das aus, wie unsere Konsumwelt sich zu sein wünscht. Erst nachdrücklich werdendem Zusehen geht auf, dass Hammerstiels Zitatwesen doppelbödig ist. Einmal wird die Idylle unserer Konsumwelt zitiert, besonders gern in ihrem Zentralsymbol, dem Einzelhaus mit Garten drumherum und dem passend gekleideten Leben darin, umgeben von sterilem Spielzeug. Dann wird aber auch die in unserem Alltag übliche Zitierweise des Zitierten zitiert, die Repräsentation der Konsumidylle, geputzt und glatt geschliffen, in Schaufenstern, Auslagen und Binnenarrangements der Modellvorführungen, worin der Ernst des Alltagslebens seinerseits die Züge aus dem Spielzimmer annimmt oder aus einem Spielgarten.

Zitat bedeutet aber immer eine Distanzierung vom Zitierten durch das Moment des verfügenden Auswählens aus breiteren Zusammenhängen und Angeboten. Der Zitierende stellt sich über das, was er zitiert, eben durch das Auswählen als sein Verfügen und Bestimmen. In Hammerstiels Fall wäre das also ein Sichdarüberstellen über die Idyllen der Konsumwelt, die er zitierend auswählt, und ein Sichdarüberstellen per verfügende Auswahl über die Weisen, in denen diese Wunschwelten vom Markt denen, die sie wünschen sollen, begegnet werden. Jetzt wird aber wichtig, dass jenes Sichdarüberstellen im Zitatwesen keineswegs ein Sichdarüberstellen im Sinn des Von oben herab sein muss. Man spürt ein Arbeiten Hammerstiels gegen alles Von oben herab in dem Liebevollen, ja fast ein wenig Zärtlichen des Zusammenbringens und in seinem Bemühen, langweilender Glätte und Übersichtlichkeit durch schreiende Farbigkeit entgegenzuwirken, was wiederum ein Verfahrenszitat aus unserer umwerbenden, umschnurrenden Simulationswelt darstellt. Zitieren heisst ja – allgemein und überhaupt anders als das Von oben herab – ein Zur Rede stellen, sozusagen ein Verbellen im Standlaut: Hier muss etwas genau zur Kenntnis genommen werden. Solche intellektuale Situationierung hat zunächst einmal im Ansatz mit einer Wertfreiheit des Aufmerkens zu tun. Wir wollen uns ja nicht dauernd gleich die Erfahrungsmöglichkeiten durch Wertungen einengen lassen: „Mach´ die Augen zu, schöne Sarah!“ (Heinrich Heine). Solches meint Wertfreiheit in einem Maß, nach dem das Zitieren sehr wohl im ersten Schritt ein Affirmatives in sich hat. Das führen uns die Geisteswissenschaften vor, wo sie sich in ihrer Arbeit dem zu Deutenden geradezu unterordnen, indem sie sich darauf richten, den Sinn, den Autoren ihren Texten haben geben wollen, zu ermitteln. Desgleichen tut die Werbung in ihren Zitaten, sie sollen den Wert des Angebots steigern. Mit der Predigt im christlich Religiösen, zitatgeladen durch Bibelbezug, verhält es sich schon etwas anders. Solche Predigt unternimmt, uralte Texte einer veränderten Gegenwart anzupassen, außer bei den Fundamentalisten.

Trotzdem begibt sich das Zitieren auch in seiner affirmativen Weise in eine Distanz gegenüber dem Zitierten. Diese Distanz ist auffälligst gegeben am Gegenpol zum affirmativen Zitieren. Karl Kraus und nach ihm Walter Benjamin entwarfen das Konzept eines verreißenden Zitats. Man muss nur einen Autoren zitieren ohne alle kommentatorischen Hinzufügungen, so stellt man ihn mit sich und durch ihn selber bloß. Zwischen beiden Polen schwimmt das ironische Zitieren hin und her. Ironie, das ist ja Scheinernst – solcher Art markiert sie oder ist sie die Distanz an und für sich selber. Oder: So sehr Zitat affirmativ sein kann, sich also identifiziert mit dem Zitierten, so meldet sich durch das darin doch auch enthaltene Distanzieren vorsichtig ein Vielleicht von Ironie als schwebender Begleitton, dem nur die Verrissabsicht entgeht. Verriss verwandelt die Distanz zum Abbruch der Beziehungen, da ist dann kein Abstand mehr, selbst nicht der weiteste, sondern ein Weg im Sinn des Wegwurfs. Die beiden davon verschiedenen Weisen des Zitierens bewirken ein „Zur Rede stellen“, ein Fragen nach dem Zitierten – also bleibt im Abstand ein Bezug.

Wenn nun Hammerstiel gar doppelt zitiert – er zitiert ja das Zitierte schon im Gegenstandsbereich seiner Darstellungsmotive sowie deren Zitierweise – so sind die thematischen Gehalte seiner Darstellungen als Zitat des Zitats gemeint, eben schon in jener zitierten Weise, in der sie uns auftreten in unserer Marktwelt der Repräsentationen von Lebensgütern oder eher uns entgegentreten. Das potenziert dann folglich gar die ironisierenden Funktionen des Zitierwesens. Jedoch eben Verriss ist nicht gemeint, gesteigerte Ironie bewahrt dem entgegen die fragende Beziehung.

So tritt eine Welt uns ins Bild, die gewiss unsere konsumgesellschaftliche Wirklichkeit ausmacht in deren Wunsch- wie Erwartungsfeldern. Denn die Gehalte des Wünschens wie Erwartens gehören schließlich ganz zuverlässig zu den jeweiligen Wirklichkeiten der Menschen. Allerdings haben diese Gehalte das Vertrackte an sich, zur Wirklichkeit zu gehören in einer Weise, in der sie der Wirklichkeit zu entrinnen suchen, dieses zumindest vorgeben. Insofern sind sie nur eine Strähne, verflochten in das Andere der Komplexität, als welche Wirklichkeit zum Ganzen sich darbietet.

Die doppelte Zitierweise Hammerstiels, durch die der ironische Effekt verstärkt wird in Gegenspiegelungen, verwirft die zitierten Wunsch- und Erwartungsbilder nicht auf einfache oder gar krude Weise. Sie geht damit vielmehr in einem ersten Zug liebevoll um, statt zu zitieren, um zu verachten. Selbst mit der Putz-Sauberkeit wird noch liebevoll umgegangen. So dass auf den ersten Blick der Eindruck entsteht, ach! wie übersichtlich sei doch unsere Welt und doch so abwechslungsreich farbenfroh, farbenreich sowie immer wieder aufgeregt anders, wenn man nur kaufen könnte. Und Alles lässt so leicht die Funktionen ablaufen, wobei mehr als genug Bewegung ins Kontor kommt.

Und doch: Diese Traumwirklichkeit des marktgerecht gemachten, gestalteten, ausgepinselten Wünschens erscheint, so der zweite Blick, in einer Bilderwelt, die versprechend das Ihrige vorführt, wie wenn ein intensives Sehnen des Lebens nach Leben sich breitmache. Aber sie ermangelt aller Zeichen gelebten wie lebenden Lebens. Wenn man von dem Zeichenumstand absieht, dass alle dargestellten Gegenstände als Zeichen auf Funktionalitäten für Lebensaktivitäten verweisen, die ins „Noch-Nicht“ und „Nicht-Mehr“ (vgl. zu Nochnicht und Nichtmehr Ernst Bloch) abwesend sind für die Anschauung. Das Zitieren der Repräsentation von möglichen Lebensgütern, in der Wünsche zum Tanzen gebracht werden sollen durch die Arrangements und Simulationen auf den Märkten und in der Werbung – diese zweite Zitierebene von Hammerstiel richtet sich gemäß der Werbung an das allgemeine beziehungweise durchschnittliche Wünschen. Woraus eine Kälte des Unpersönlichen im Namen des Über- oder Unindividuellen als Appell an Alle hervorweht, trotz eines Vortäuschens von Suche nach den einzigartigen Wünschen im Einzelnen.

Man fühlt sich durch die Installationen Hammerstiels – auch wo Personenmodelle in Weise beweglich gemachter Schaufensterpuppen postmodern hochnaturalistischen Stils mit ins Spiel gebracht werden – erinnert an die strikten Wünsche von Architekten, ihre und die Architekturen Anderer ohne Menschen zu erleben. Das trieb immer wieder viele Architekten zu Wanderungen durch die Städte am ganz frühen Morgen des Sonntags – bester Phototermin für eine Architektur ohne Menschen. Solche Beschwernis nimmt ihnen heute die Take-off-Kamera ab, die die Menschen wegputzt, die Hardware aber stehen lässt, darin gleich der Neutronenbombe. Damit regt sich schon ein Unheimliches in den glatten Bildwelten von Hammerstiel.

Und wenn wir nun an diese Züge unserer Wirklichkeit denken, die der Künstler vor Augen führt, dann provoziert das doch sofort und in einem Schritt die Konfrontation mit den Bildwelten des Naturschreckens, der Hungerkatastrophen, der Kriege und Attentate, der Folterungen aus den Fernsehnachrichten und -dokumentationen, aus den Illustrierten und den Zeitungen, nicht zuletzt aus dem Internet. Provoziert denn nicht das Zitieren der gecleanten Werbe- und Marktwelten – als die Repräsentation unserer angeblichen Wunschwelten – ohne jede Einlassung eines Widerspruchsmoments viel stärker den Aufschrei namens „Das darf doch nicht wahr sein!“ als die Bilder des Elends selber? Auf jeden Fall regt sich überall in den geputzten Bilderwelten Hammerstiels aus dem Spielzimmer für infantilisierte Erwachsene das Unheimliche, das ja schon in der zitierten Infantilisierung der Erwachsenen von heute steckt. Ich verweise auch auf das alltäglich Erlebbare des gemeinten Zusammenstoßes der Fernsehnachrichten mit ihrem gecleanten und beschleunigten Werbeweltrahmen davor und danach.

Will man Hammerstiels Bildwelten des angezeigten Charakters mit Kunsttraditionen zusammenbringen oder zu ihnen in Beziehung setzen, dann wäre da zum ersten die Frage nach dem Ready made Marcel Duchamps, weil Alles so vorgefertigt aussieht, vorgefertigt vor der Arbeit des Autors. Doch liegt das Ready made nicht in der Duchamp-Art vor, sondern als Fake of Ready mades. Photo- und Videomotive sowie Modellbauten und Simulationen aus unseren Illustrierten-Regionen (Werbebroschüren eingeschlossen) wurden herangezogen, fast könnte man das noch als dritte Zitierebene eingeflochten sehen. Zudem ist in der Einstellung des nicht Verdammen-wollens durch die Haltung des Befragens selbstverständlich die Pop Art mit ihrer Hinwendung zur Wichtigkeit der Erscheinungsbilder von Konsumgütern vorausgesetzt – auch in dem vertiefenden Zug der Pop Art, wo die Wichtigkeitssicht auf die Erscheinungsbilder jener Konsumgüter gerichtet wurde, deren Erscheinungsbilder selber schon im Leben der Konsumgesellschaften hohen Symbolisierungsgrad erreichten (etwa Marilyn Monroes Busen als american way of love oder Coca Cola als american way of drinking). Für Hammerstiel sind das unter anderem etwa die Wunschbilder rings um das Einfamilienhaus, die Wunschbilder an ihm und in ihm – auch das meint eine allgemeine Wunschwelt ohne personale Züge im Gesicht.

Und doch: Im allgemeinen oder vielmehr allgemein gemachten Wunschwesen regt sich, gewiss zutiefst eingeschläfert, individuelles Begehren des Persönlichen. Es hängen also enorme Gefühlsmomente daran. Diese will die Werbung ja, wenn auch eingeschläfert und mehr betäubt, ebenfalls indirekt mitansprechen, sonst hätte sie keinen motorischen Gesprächspartner. Von den angezeigten Komponenten her könnte aber Auflehnung passieren gegen die vom Markt und seiner steuernden Werbung betriebenen großen Säuberungen des Wünschens und Begehrens. So wie in der widerspruchsgeladenen Wirklichkeit Wirklichkeit Wirklichkeit bricht, mindestens unterbricht, so könnte die auf die klare Spitze getriebene gefühllose Unpersönlichkeit der geputzten, gespritzten Wunschbilderwelten aus Werbung und Märkten gefühllose Unpersönlichkeit brechen, mindestens unterbrechen. Davon spricht Hammerstiel. Meine konkludierende Zuordnung seiner Arbeiten der letzten Jahre richtet sich – in äußerst problematisierender Sicht – auf einen neusachlichen Expressionismus des Unheimlichen in Thrillerei under cover – Idylle als Anzeichen einer Entsetzenswelt. Man denke an die Isolationsinseln des Eigenheimlebens – stummer Terror der florierend befriedeten Vorstädte, in denen die Frösche, Kühe und Hühner zu verstummen haben, während der Terror ehemals der Dörfer im lauthals hinterm Rücken stattgefunden habenden unaufhörlichen Klatsch der üblen Nachrede bestand. So geht das bei Hammerstiel über Neusachlichkeit hinaus zu einem Hyperrealismus, welcher Tatorte sterilisierend fixiert für anvisierte Objektivität der Rückschlüsse auf eine vergangene Tat. Was wieder ans Zitierwesen des Geisteswissenschaftlichen rührt. Dieses führt per se ein Unheimliches mit sich.

Burghart Schmidt