Second Life ganz analog

Die Arbeiten von Robert F. Hammerstiel haben ein zentrales Motiv: die Ware und damit eine Ökonomie des Versprechens. Entscheidend für diese Ökonomie des Versprechens ist das scheinbar widersprüchliche Verhältnis zwischen einer Produktion, die auf hohe Absatzquoten zielt, und einem Konsum, der im Kauf dieser Ware das je individuelle Begehren und das Begehren nach Individualität zumindest vorübergehend befriedigt findet. Auf der einen Seite steht die Rechnung mit quantifizierbaren Mengen, auf der anderen die Vorstellung von Singularität. Der Mechanismus hinter dieser Ökonomie ist einfach: Er rechnet mit dem Begehren nach Individualität, die dadurch evoziert wird, dass das konsumierende Subjekt aus einem Spektrum an Möglichkeiten auswählen kann und mit der Entscheidung für das eine und nicht für das andere Angebot seine Identität bestätigt findet. Die Identität, die durch den Konsum versprochen wird, zählt selbst zu einem Spektrum möglicher Subjektvorstellungen, mit denen die Ökonomie des Versprechens rechnet. Die variablen Subjektvorstellungen und ihre dementsprechenden Warenwünsche bilden gemeinsam eine Menge, die als Zielpublikum adressiert, beworben und bedient werden will. Um die Differenz zwischen den verschiedenen Angeboten so variabel wie ökonomisch produzieren zu können, bedient sich die Ökonomie eines kleinsten gemeinsamen Nenners, der die verschiedenen Subjekte in sich vereint. Dieser kleinste gemeinsame Nenner ist das Stereotyp. Das Stereotyp beschreibt eine bestimmte Verhaltensform oder Wertvorstellung einer Gruppe, die für diese nicht nur charakteristisch ist, sondern auch eine Ebene der Berechenbarkeit repräsentiert. Zu den klassischen Stereotypen, die von der Ökonomie adressiert werden, zählen etwa die Vorstellungen einer singulären und unverwechselbaren Familie, die sich ein eigenes Haus mit Garten wünscht, dazu ein geräumiges Auto und eine Einrichtung, die den individuellen Begehrlichkeiten Raum gewährt: ein oder zwei Kinderzimmer, ein Schlafzimmer, eine Küche, ein Wohnzimmer und genauso stereotyp einen Keller oder Dachboden, der für all jene Gegenstände Platz bieten will, die im Alltag keinen Platz mehr haben sollen. So individuell die unterschiedlichen Formen der Bewältigung dieser Wunschperspektiven aussehen mögen, so stereotyp und berechenbar bleiben die sozialen, kulturellen und ökonomischen Strukturen als Konsequenz dieser Vorstellungen. Die Tatsache, dass manche Waren bestimmte Stereotypen einer Lebenseinstellung oder Lebensform repräsentieren, bedeutet, dass mit dem Konsum dieser Waren auch bestimmte Stereotypen und damit kulturelle und soziale Identitätsvorstellungen konsumiert werden. Was daraus folgt, ist eine Warenförmigkeit der Identität, der Kultur und der sozialen Machtverhältnisse. Der Mechanismus hinter dieser Warenförmigkeit tendiert dazu, den gesamten Alltag der Lebensführung und Lebensplanung in diese zu integrieren. Was dann bleibt, ist ein Subjekt, das sich im Konsum selbst konsumiert: ein Konsument als Identitätsfigur.

Nun könnte man die Arbeiten von Robert F. Hammerstiel darauf reduzieren, dass diese allein eine Kritik an der Warenförmigkeit der Kultur zur Sprache bringen. Die Rede wäre dann von einer entfremdeten Welt der Waren, die Singularität verspricht und doch nur stereotype Begehren bedient und produziert. Das Ergebnis wäre dann aber nicht nur eine Kritik am falschen Schein der Warenwelt, sondern auch das Versprechen, als gäbe es auf der anderen Seite des Scheins eine richtige und authentische Welt. Das Problem dieser Dualität aus Schein und Sein besteht dann darin, in der Figur des Konsumenten nur das Opfer einer Täuschung zu sehen und mit der Ökonomie allein den Betrug zu assoziieren. Die bloße Kritik am Illusionismus der Ware würde im Konsum nur die Rezeption beleuchten und die aktive Rolle des Konsums als eine Form der Produktion von Schein außer Acht lassen. Um diese Ambivalenz des Konsums zu fassen, gilt es die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es auch auf Seiten der Konsumenten ein Interesse daran gibt, die Realität als Schein erscheinen zu lassen. Was dahinter steht, könnte man als Einverständnis mit einer Realität auf Distanz beschreiben. Das Wissen um die bloße Illusion der Ware wäre die Garantie dafür, dass im Konsum alles was als Realität erscheint, nur als Illusion erscheint – im Kern als Unwirklichkeit, als Realität auf Credit. In diesem Sinne zielt der Konsum weniger auf den Erwerb einer Ware, die sich dann in einen individuellen Gegenstand im singulären Ambiente verwandelt, sondern auf die Warenförmigkeit der Ware selbst. Das Kaufen wird damit zum Selbstzweck des Kaufens. Man könnte sagen, für das Shoppen ist es gleichgültig was gekauft wird, sondern nur, dass etwas gekauft wird.

Signifikant für diese Warenförmigkeit ist die Austauschbarkeit. Verliert die zum individuellen Gegenstand gewordene Ware ihren Reiz, wird sie durch die nächst beste ersetzt. Dazwischen liegt nur die Entscheidung, sich von einem Stück zu verabschieden, um ein anderes dafür zu erwerben. Mit dieser Austauschbarkeit ist das Phantasma verbunden, die Realität und damit das eigene Leben je nach Belieben und Begehren verändern zu können. Die Tatsache, dass die Waren selbst nicht ewig halten sollen oder wollen, und schon auf Austauschbarkeit hin produziert werden, macht die Entscheidung, ein Ding oder ein ganzes Ambiente loszuwerden, nicht schwer. In diesem Sinne steht der Konsum für eine Aneignung auf Zeit, für ein Einverständnis mit dem Temporären. Was als Gegenwart erscheint, ist konzipiert als Passage, als Durchgang durch die Zeit, die mit jedem Konsum stets aufs Neue beginnt. Das Ablaufdatum ist die Signatur dieser Temporalität. Die Ware, die nicht ewig hält, verlangt von sich aus nach Austauschbarkeit. Ihre Vergänglichkeit oder ihr Verlust an suggestivem Potential führt konsequent zur nächsten Ware, die erworben werden will. Damit wird die Veränderung, die der Konsum einer Ware stets aufs Neue verspricht, zur Konstante. Konstant bleibt nur die Austauschbarkeit. In diesem Sinn folgt das Konsumieren einem Wiederholungszwang, der weniger vom Subjekt ausgeht als von der Ware selbst. Nicht erwähnt werden muss hier, dass sich dieser Wiederholungszwang für die Ökonomie rechnet.

Die Arbeiten von Robert F. Hammerstiel dokumentieren diese Mechanismen der Warenförmigkeit – sei es, indem sie die serielle Produktion der Waren beleuchten, oder sei es, indem sie die Selbstberedsamkeit der Gegenstände als bloße Waren unterstreichen. Die Warenförmigkeit wird nicht kritisiert, sondern exponiert und bestätigt. Was damit zum Vorschein kommt, ist der Schein selbst. Paradox erscheint vielleicht, dass der Schein damit selbst zu einer Ebene des Realen wird. Der Illusionismus ist nicht die andere Seite der Realität, sondern eine Form von Wirklichkeit. Wenn auch die Flucht vor der Realität in den Illusionismus der Ware führt, so bleibt die Flucht vor dieser Realität selbst nicht weniger eine reale Flucht. In diesem Sinne steht der Konsum für den unstillbaren Drang, der Realität über den Schein des Realen zu entkommen. Jeder Einkaufssamstag erscheint aus dieser Perspektive als kulturell sanktionierte Massenflucht.

Für eine Kultur, die das Konsumieren zum Selbstzweck erklärt, bedarf es einer Legitimation des damit verbundenen Illusionismus, um ihn nicht als Flucht sondern als Bestätigung dieser Kultur begreifen zu können. Diese Legitimation liefert das Stereotyp. Das Stereotyp sorgt dafür, dass die sehr spezielle Form einer Kultur mit einem Problem umzugehen als Norm, d.h. normal erscheint. Die Normalität eines Problems bringt das Problem als Problem zum Verschwinden. Was bleibt, ist die stereotype Maskerade einer kulturellen Norm. Probleme haben nur jene, die nicht in das Stereotyp passen. Das Stereotyp verwandelt den Illusionismus hinter der Norm in eine Gewohnheit. Die Gewohnheit wiederum liefert die Koordinaten für eine Vorstellung von Realität. Diese Vorstellung von Realität erfährt durch das Stereotyp eine Ordnung. Aus dieser Perspektive erscheint die Ordnung selbst als Schein.

Alles in bester Ordnung, so der Titel der Ausstellung von Robert F. Hammerstiel, spricht genau von diesem Begehren nach einer Norm, die ihren illusionistischen Kern als Realität maskiert. Wenn es gerade die Waren oder die Warenförmigkeit eines Lebensstils sind, die vor dem Konsum den Illusionismus repräsentieren, um sich nach ihrem Kauf in ein Stück "wahr gewordener" Realität zu verwandeln, dann ist die Bedeutung der Warenförmigkeit für die Aufrechterhaltung eines Anscheins von Ordnung nur allzu nachvollziehbar. Unordnung gerät in diese Ordnung nur dann, wenn die Verwandlung des Illusionismus in eine wahr gewordene Realität gestört wird, und genau hier setzen die Arbeiten von Robert F. Hammerstiel an. Was sie mit unterschiedlichen Mitteln und Perspektiven leisten, ist die Rückübersetzung der wahr gewordenen Realitäten wieder ins Illusionistische. Wenn Robert F. Hammerstiel Waren gleichermaßen wie entsprechende Lebensstile ins Bild nimmt, dann erscheint ihre implizite Bildhaftigkeit als Folge ihres illusionistischen Kerns. Wollte man seine Bilder beschreiben, dann wären es in diesem Sinne nur Bilder von Bildern, die diesen schon vorausgehen – und sei es in der Maskerade des Realen. Sein ästhetischer Eingriff beginnt erst bei der Rückübersetzung von Bildern in Bilder. Seine Techniken dafür sind variabel: Sie reichen von der Großformatigkeit, die in ihrer Überdimensionalität das Bildhafte an einem Gegenstand exponieren, bis hin zum umgekehrten Prinzip, das die situativen Qualitäten eines Ausschnitts von Realität ins Kleinformat und damit ins Bild rückt. Seine ästhetische Strategie basiert auf einer Verschiebung der Perspektive, die allein darauf abzielt, das Bildhafte eines Gegenstands oder einer Situation wieder hervorzuholen. Entscheidend ist dabei, dass diese wieder hervorgeholten Bilder als Ausdruck für eine Distanz zur Realität stehen, die selbst als Bild erscheinen soll. Hier liegt die Verbindung von Stereotyp und Simulakrum. Das Stereotyp ist das Produkt eines Simulakrums, das als Bild um sein Verhältnis zur Realität weiß. Im Simulakrum ist die Tatsache, dass es sich um ein Bild handelt, gegenwärtig. Das Stereotyp aber maskiert seine Herkunft vom Bild, um als Ordnung des Realen erscheinen zu können. In diesem Sinne sind die Bilder von Robert F. Hammerstiel Rückübersetzungen von Stereotypen in Simulakren. Diese Anmerkung ist insofern wichtig, als sie klar machen soll, dass die Arbeiten von Robert F. Hammersteil unabhängig davon, ob es sich um Fotografien, Videos oder Installationen handelt, auf ein Verhältnis zum Bildhaften insistieren. Das Bildhafte ist als Ordnung auch dort am Werke, wo von Bildern im engeren Sinne nicht gesprochen werden kann. Das Bildhafte scheint sich vom Bild zu emanzipieren, um als Realität erscheinen zu können. Die Rückübersetzung des Bildhaften ins Bild, die Hammerstiel leistet, enthält sich aber eines Plädoyers für das eine oder andere. Anstelle dessen bringt er das Bildhafte und das Bild in ein ambivalentes Verhältnis zueinander. Die Frage ist dann nicht, sich für oder gegen den Illusionismus zu entscheiden, sondern die politischen, ökonomischen und kulturellen Mechanismen zu erkennen, die in diesem Verhältnis begründet und geordnet werden.

Andreas Spiegl