Anmerkungen zur Konzeption, Wirkung und Rezeption der Bilder Robert F. Hammerstiels

„Die Objekte werden so angeordnet, dass sie die Ursachen ausdrücken, deren Ergebnis sie sind.“ (Paul Strand)

Die seit 1985 erschienenen Publikationen über Robert F. Hammerstiel vermitteln eine konzentrierte Arbeit an fotografischen Werkgruppen und Serien, die der österreichische Künstler durch Videos und Installationen nicht nur medial erweiterte, sondern mit bestimmten Themen, Bildideen und Programmen auch in immer komplexeren Kontexten und Systemzusammenhängen verhandelte.

Die bislang veröffentlichten Texte reagierten schwerpunktmäßig auf einzelne Werkgruppen oder versuchten – wie Peter Zawrels Text Poesie, Kritik und Ironie1) von 1998 – Grundcharakteristika von Hammerstiels Position und Entwicklung in einem Werküberblick zu beschreiben. Zawrels Text war anlässlich der Ausstellung Glücksfutter in der Stadtgalerie Saarbrücken und dem Le Crédac in Ivry-sur-Seine publiziert worden. Im gleichen Buch erschien zudem auch die Erstveröffentlichung eines kurzen Aufsatzes der österreichischen Autorin Elfriede Jelinek.2) Dass im Inhaltsverzeichnis des Buches Glücksfutter zwischen (kunsthistorischen bzw. -theoretischen) „Beiträgen“ von Christian Gattinoni, Bernd Schulz sowie Peter Zawrel und Jelineks literarischem „Text“ unterschieden wurde, trifft eine Überlegung, die mir für die Werkkonzeption und -rezeption Robert F. Hammerstiels aus mehreren Gründen wichtig erscheint: Jelineks Essay Unruhiges Wohnen formuliert im Kontext der Publikation von 1998 keine analytische Annäherung an das Werk Hammerstiels. Stattdessen funktioniert ihr Text als ein zu den Arbeiten des Künstlers paralleles „Wortbild“.

Für mich stellt sich die Frage, ob nicht gerade diese Konstellation auch die geeignetste Form einer Annäherung an das Werk Hammerstiels sein könnte. Oder anders gefragt: Wie viel Erklärung brauchen seine Bilder? So ist auch das Konzept seiner Arbeit in jedem Bild absolut präzise formal und ikonografisch auf einen Punkt gebracht. Auch folgen Aspekte der technischen Ausarbeitung, des Formats, der Rahmung, der Inszenierung und der Präsentation einem künstlerischen Kalkül, das die eigene Arbeit jeweils als eine umfassend gedachte und konzipierte Antwort auf ein zuvor gewähltes Referenzsystem erscheinen lässt.

Die Qualität der Arbeiten Hammerstiels liegt in ihrem konzisen Charakter. Inhalt und Form jedes Werkes sind exakt aufeinander bezogen. Das Bild funktioniert als visuelle Verdichtung von Informationswerten, deren Redundanz und symbolischer Gehalt auf der Metaebene der fotografischen und filmischen Aufnahme visuell dynamisiert werden.

Was Robert F. Hammerstiel mit seiner Arbeit verfolgt, hat er in zwei exemplarisch ausgewählten Statements folgendermaßen formuliert: einerseits eine „visuelle Auseinandersetzung mit künstlichen Strukturen und Formen …, (um) die Ver-Störung … ebenso sichtbar werden (zu lassen) wie die darin liegende ästhetische Qualität“3). Andererseits zeige er in seinen Arbeiten die „Diskrepanz zwischen vorgefertigten Bildern und … der Sehnsucht des Menschen nach Idyllen“4).

Das erste Zitat stammte aus Robert F. Hammerstiels Katalog Stand-Orte von 1988. In dieser Publikation hatte er knapp 80 Schwarz-Weiß-Aufnahmen von aufgelassenen Tankstellen in Österreich zu einem Portfolio zusammengefasst. Das zweite Zitat formulierte der Künstler im Katalog zu seiner Ausstellung Vergiss Mozart. Mediale Reflexionen über Distanz und Nähe im Museum der Moderne in Salzburg 2006.

Die beiden Zitate führen zusammen, was auf den ersten Blick völlig unterschiedlich zu sein scheint: Da Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die noch Jahre später als „Musterbeispiel für die österreichische Autorenfotografie in engerem Sinn“5) bezeichnet wurden. Dort großformatige Farbfotografien und Videos als „mediale Reflexion zu einem multiplen Mozartbild“6). Dazwischen liegen Werkgruppen, in denen der Künstler im Zugriff auf bestimmte Motive, ihre filmische und fotografische Repräsentation, durch Ausschnitte, bildliche Isolierungen und Vergrößerungen sowie durch Inszenierungen vielfältige Transformationsprozesse der Wirklichkeit zwischen Konstruktion und Abbildung auslöst. So wurden auch die Arbeiten der 1990er Jahre von einem immer bild-radikaleren Umgang mit Gegenständen und der Überführung von Wirklichkeitsausschnitten in die Wirkung künstlicher Welten bestimmt.

Gleichzeitig wurde auch die Befragung der Realität – etwa in der Serie Privat Stories I – zunehmend mit inszenatorischen Überlegungen verbunden. Diese jüngste Serie großformatiger Farbfotografien aus den Jahren 2005 und 2006 erscheint wie ein diametraler Gegensatz zu den kleinformatigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den 1980er Jahren. Die frühe mit der Subjektivität des Autors gekoppelte Realitätswiedergabe trifft auf die spätere Dekonstruktion von Wirklichkeit und die Schaffung von neuen Konstellationen bzw. Zusammenhängen.

Auffällig erscheint, dass Hammerstiel mit einzelnen Werkgruppen seines bisherigen Œuvres auch mit völlig unterschiedlichen Konzepten fotografischer Positionen in Verbindung gebracht werden könnte: Arbeiten der Serie Stand-Orte erinnern noch an eine Tradition der amerikanischen Fotografie, die sich mit Positionen wie Robert Adams, William Eggleston, Stephen Shore oder Joel Sternfeld besonders in den 1970er Jahren die Ästhetik der Amateur- und journalistischen Fotografie zunutze machte und das Material der Straße als völlig neues Bildkonzept verstand. Nach Joachim Brohm, Michael Schmidt und Heinrich Riebesehl in Deutschland in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre begegnete auch Robert F. Hammerstiel während der 1980er Jahre mit einem vergleichbaren Bild- und Kompositionsverständnis seinem unmittelbaren Lebensumfeld und reflektierte in diesem private und öffentliche Kulturkontexte. Was bei ihm u. a. in die Portfolios Grüne Heimat, Mittagsporträts und Public Intimity mündete und im Rahmen einer internationalen Ausstellungstournee unter dem bezeichnenden Titel Der Stand der Dinge. Österreich7) zusammengefasst wurde, vermittelte eine nunmehr auch von der Farbe geprägte fotografische Ästhetik, die sich unmittelbar mit William Eggleston in Verbindung bringen ließ.

Dessen Inkorporierung „undifferenzierter Bilder in ein ästhetisches Konzept“ und die Verbindung des Anonymen mit der „universellen Wahrheit der Kunst und des Lebens“8) entsprachen Hammerstiels Suche nach einer Intimität, die von Heinz Liesbrock für die Arbeiten von William Eggleston als eine Bearbeitung von unspektakulären Örtlichkeiten bezeichnet wurde.

Gerade Der Stand der Dinge von Hammerstiel vereinte auch die für Eggleston feststellbare Zusammenführung von dokumentarischer Absicht und der Suche nach einer ikonischen Struktur innerhalb des Sichtbaren. Ein Ansatz, der zeitgleich u. a. auch die Auseinandersetzung mit dem Thema „Alltagsdinge“ von Jörg Sasse bestimmen sollte.9) Was die Aufnahmen der drei Positionen grundsätzlich vereint, ist der Verzicht auf jegliche Inszenierung, die allerdings im Laufe der 1990er Jahre zu einem immer wichtigeren Faktor der Bildkonzeption Hammerstiels werden sollte.

So könnten seine Private Stories I auch durchaus mit Gregory Crewdsons Bildern aus dem Zyklus Dream House verglichen werden. Hier wie dort geht es um die Schaffung von Konstellationen, in den sich psychisch bzw. emotional geladene Spannungen zwischen filmisch-fotografischen Bildsituationen und in ihnen auftretenden Akteuren ergeben.

Die differenzierten Bezüge zu Positionen, deren Nennung auch als Beispiel konträrer Ausrichtungen der Fotografie seit den 1970er Jahren dienen könnte, belegen allerdings keinesfalls ein pluralistisches Konzept der bisherigen Werkentwicklung Robert F. Hammerstiels. Stattdessen vermitteln sie zwei Aspekte, die einerseits das Werk des Künstlers kennzeichnen und andererseits einen der präsentesten Diskurse in der jüngsten Foto- und Kunsttheorie pointiert belegen: Damit ist vor allem die Auflösung des bislang diametralen Gegensatzpaares von sachlich-dokumentierter Realität und eines inszenierten Modells der Wirklichkeit gemeint. Denn spielt nicht gerade Hammerstiel äußerst virtuos mit der Frage, wo die „Referenz auf das Reale“ mit den „Paradoxien in der Bezeugung des Realen“ und der Realität eines Szenarios zusammenfällt?

Zeigen nicht gerade seine Fotografien, Filme und Installationen, wie Bilder nach allen Richtungen hin ihre eindeutige Wirkung verloren haben? Erstmals war dieses Phänomen 2003 von Thomas Weski behandelt worden. Als Reaktion auf William Egglestons Serie Los Alamos konstatierte er für dessen „direkte Auseinandersetzung mit der Welt“10) die Wirkung einer sorgfältigen Inszenierung. Der Autor beschrieb damit das Phänomen, dass gerade Positionen der amerikanischen Farbfotografie der 1970er Jahre durch die folgenden perfekten künstlerischen Konstruktionen von Authentizität in den Arbeiten von Jeff Wall oder Andreas Gursky ihre Wirkung in Richtung subtil angelegter Aufnahmen zwischen Bild und Wirklichkeit, zwischen einem erfundenen Szenario und einer vorgefundenen Situation verändert hätten.

Robert F. Hammerstiel platziert sich nicht nur mit einzelnen Bildern, sondern mit der Abfolge seiner bisherigen Werkgruppen pointiert in diesem Diskursfeld. Er ist dabei ebenso „Realist“ wie „Inszenator“. Er belegt ein Terrain, das zwischen Fiktion und Realität wirkt und diesem Zwischenraum von Wirklichkeit und Imagination präzise Interpretationen über unser Leben, unseren Alltag, unsere Träume, Sehnsüchte und Hoffnungen setzt. So erzeugt er Bilder, die im Sinne des einleitenden Zitates von Paul Strand eben genau jene „Ursachen ausdrücken, deren Ergebnis sie sind“11).

  1. Peter Zawrel: Poesie, Kritik und Ironie. In: Bernd Schulz (Hrsg.): Robert F. Hammerstiel. Glücksfutter. (Heidelberg: Kehrer, 1998), S. 32–39.
  2. Elfriede Jelinek: Unruhiges Wohnen: In: ebda., S. 6–9.
  3. Robert F. Hammerstiel: Stand-Orte. Ausstellungskatalog. (Wien: Niederösterreichisches Landesmuseum; Frankfurt: Kunstverein, 1989), o. S.
  4. Robert F. Hammerstiel: Vergiss Mozart. Mediale Reflexion über Distanz und Nähe. Ausstellungskatalog. (Salzburg: Museum der Moderne, 2006), S. 12.
  5. Peter Zawrel: Poesie, Kritik und Ironie, S. 36.
  6. Robert F. Hammerstiel: Vergiss Mozart, S. 12.
  7. Robert F. Hammerstiel: Der Stand der Dinge. Österreich. Ausstellungskatalog. (u. a. Linz: Neue Galerie; Heidelberg: Kunstverein; Odense: Museet for Fotokunst, 1991).
  8. Heinz Liesbrock (Hrsg.): Joachim Brohm. Ruhr. Fotografien 1980–1983. (Botrop: Josef Albers Museum Quadrat; Göttingen: Steidl, 2007), S. 16.
  9. Vgl. Jörg Sasse: Vierzig Fotografien 1984–1991. (Darmstadt: Museum auf der Mathildenhöhe; München: Schirmer/Mosel, 1992).
  10. Thomas Weski: Entwurf einer Vorstellung. In: ders. (Hrsg.): William Eggleston. Los Alamos. (Zürich, Berlin, New York: Scalo, 2003), S. 173.
  11. Zit. n. Heinz Liesbrock (Hrsg.): Joachim Brohm, S. 18.

Martin Hochleitner