Surrogate

In Wien kenne ich ein Süßwarengeschäft, wo es buchstäblich die gesamte Welt in Marzipan gibt; und Spielwarengeschäfte, wo die Wirklichkeit plastifiziert, in schier endlosen Regalen aufgereiht, für den Nachwuchs zur Einübung in den Umgang mit ihr bereitgehalten wird, kennen wir von überall. Die Welt als Surrogat: zum Anbeißen, im Kinderzimmer, unter und auf dem Weihnachtsbaum. Diese Ersatzwelt liefert die Ausgangsmaterialien für Robert F. Hammerstiel, die er nicht abbildet, sondern im Medium der Photographie jetzt auch als Photo-Objekte, als dritte Wirklichkeit, neu erschafft. Damit lenkt er unseren Blick über den Umweg der Surrogate auf diese unsere schöne neue Welt selbst und, noch einen Schritt weiter, auf unsere Wunschbilder einer Welt, die unseren Begierden stets, steril und politisch und ästhetisch korrekt, verfügbar sein soll.
Die bisher aufschlussreichste Publikation zum Werk Robert F. Hammerstiel ist jene zu seiner Ausstellung "make it up" im Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte (1994): zuerst das photographische Abbild tatsächlicher Wirklichkeit, banale Stilleben von Grünpflanzen in Wohnungen, von gedeckten Mittagstischen (bis 1990), dann von Wohnsituationen mit Phototapeten, schließlich die Imitate selbst, Klebefolien, die Oberflächen vortäuschen (Ziegel, Strohmatten), schließlich diese Welt als Spielzeug in Plastikfolie verpackt, ihre Bewohner und deren Garderobe inklusive (Barbie und andere Puppen, 1993 – 1994).
Robert F. Hammerstiel bedient sich des klassischen Genres des Stillebens, dessen Aufgabe in der Malerei es doch war, die einfachen, vergänglichen Dinge des Alltags zu transzendieren, ihr Sein über ihre flüchtige Gegenwärtigkeit hinaus dem Besitzer jederzeit anschaulich verfügbar und gleichzeitig jene als memento mori bewusst zu machen. Die Museen der Welt sind angefüllt mit solchen Bildern.
Robert F. Hammerstiel ist, von der vergänglichen Wirklichkeit des Alltags ausgehend, photographisch Schritt um Schritt vorgedrungen bis zu Bildern, die Surrogate von – nicht mehr vergänglichen, unverrottbaren – Surrogaten sind: Photographie als Ersatzhandlung in einer Ersatzwirklichkeit, das Bild als Imitation eines Bildes. Sein radikaler Verzicht auf Inszenierung, künstlerische Handschrift und aufklärerischen Gestus gibt diesen Photos erst jene Kühle, die unser Begehren wieder vom Surrogat auf die wirkliche Wirklichkeit zu lenken vermag.

Peter Zawrel, Wien 1996